
Viele Cölber Bürgerinnen und Bürger sahen sie als Teil ihrer Gemeinde an, was sich vor allem bei dem Hochwasser von 1938 mit Schäden an den Wagen zeigte. Der Familie wurde eine Wohnung mitten Ort zugewiesen. Die Mitglieder der Familie Strauß sind Sinti, die aber verstärkt seit 1935/1936, endgültig seit 1938/39 - wie die Juden - in die rassistische Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten einbezogen waren.
Als sogenannten „Zigeuner“ waren sie auch nicht bei allen Einwohnern der Gemeinde wohlgelitten. In der Schule mussten die Kinder manche Diskriminierungen erleiden, nicht zuletzt auch von Lehrkräften, wie der Auschwitz-Überlebende Heinz Strauß später erzählte.
Von behördlicher Seite war die Familie seit Januar 1939 als „Zigeuner“ erfasst worden: neun Personen im Alter von 4 bis 45 Jahren.

Im Oktober 1939 wurden die Mitglieder der Familie in Cölbe festgeschrieben und damit durften sie den Ort nicht mehr verlassen. Dagegen legte Ewald Strauß über einen Marburger Rechtsanwalt Widerspruch ein, dem zum Teil stattgegeben wurde, so dass Familienmitglieder wenigstens für die Arbeit in Marburg oder Allendorf den Ort verlassen durften.

Die älteren Söhne Adam und Julius wurden auch zur Wehrmacht einberufen.
Adam Strauß gründete eine eigene Familie.
1941 kamen sogenannte Rassenforscher nach Cölbe, um die Mitglieder der Familie zu „untersuchen“, gemeint war auszuhorchen und den Grad des „Zigeunertums“ festzustellen – zur Vorbereitung weiterer „Maßnahmen“. Für den damals 15jährigen Heinz Strauß blieb die Untersuchung in Erinnerung, denn die Rassenforscherin, hatte ihm gesagt, dass sie seine Abstammung schon am Gang erkennen würde.
Die Diskriminierungen und gesellschaftlichen Ausgrenzungen wurde von Jahr zu Jahr verschärft. 1941 wurden alle zur Arbeit verpflichtet. Zuwiderhandlungen wären mit KOnzenttrationslagerhaft bestraft worden. 1942 wurden Adam und Julius Strauß aus der Wehrmacht entlassen, Heinz Strauß bei der Musterung als „wehrunwürdig“ deklariert. Die Gewerbescheine wurden eingezogen. Die Familie wurde systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen.
Ende 1942, nachdem die letzte große Deportation der Juden aus Deutschland stattgefunden hatte, ging das nationalsozialistische Regime gegen die Sinti und Roma vor. Der Deportationsbefehl des Reichsführers SS datiert vom 16. Dezember 1942. Ab 29. Januar 1943 begannen reichsweit die Vorbereitungen für den Völkermord. Ende Februar 1943 wurde über das Landratsamt Marburg der Bürgermeister in Cölbe über die bevorstehende Deportation informiert und instruiert.

Heinz Strauß, damals 17 Jahre alt und in Cölbe wohnend, berichtet davon, dass die Familie von den Polizeibeamten gewarnt wurde:
1943, im Januar, Februar, wußten wir, was Sache war. Der Wachtmeister, nein Oberwachtmeister, kam abends mit seiner Frau zu uns. Seine Frau weinte. Er nahm meinen Vater an die Seite und sagte: "S., ich muß dir was erzählen. Wenn möglich, mach dich dünn. Sieh zu, daß du Cölbe verlassen kannst. Ihr sollt abgeholt werden. Ihr sollt ins KZ. Wir haben damals mitten im Dorf gewohnt. In dem Haus haben wir mit der Familie B. zusammengewohnt. Das war an der Hauptstraße, in der Untergasse 39.
Nachdem mein Vater von der Deportation erfahren hatte, kamen ihm auch gleich die Tränen. „Und was sollen wir jetzt machen? Ich komme hier nicht mehr weg, ich bin festgeschrieben. Wenn sie uns erwischen, kommen wir weg. Wir schaffen es nicht mehr. Wo sollen wir denn hin?" Der Wachtmeister ging weg. Abends spät kam die Frau noch einmal und brachte etwas zu essen. Es war furchtbar.
Dann kam noch ein anderer Wachtmeister, der hieß H. Der hat uns auch die Nachricht gebracht, daß wir weg sollen. Wir sollten aber ruhig bleiben. Dann kam das Schlimmste: Unser Bürgermeister kam, auch mit seiner Frau. Beide heulten wie die Schloßhunde. Sie haben uns gewarnt, aber wir konnten nichts machen. Und verstecken konnten sie uns auch nicht, [...]
Wir sind dann (am 23. März 1943, uer) von der Gendarmerie zum Cölber Bahnhof gebracht worden. Von da aus ging es dann mit dem Zug nach Marburg, zum Hauptbahnhof. Vom Hauptbahnhof brachten sie uns ins ehemalige Landratsamt. Dorthin, wo heute die Gedenktafel [Marburg, Barfüßerstraße] angebracht ist. Sie haben dann die Sinti zusammengeholt, die im Kreis lebten. [...]
Dann Polizisten, links und rechts, mit Gewehren und Hunden, sind wir dann losgegangen, durch die Stadt bis zum Bahnhof, und dann wurden wir in einen Waggon reingepfercht. [...] In Kassel haben wir Halt gemacht. Da haben sie noch weitere Sinti eingeladen. Dann ging es durch bis nach Auschwitz-Birkenau. Uns haben die gesagt, wir werden angesiedelt, wir müssten da nur alles urbar machen. Das haben wir auch geglaubt. Wir haben nie geglaubt, dass es uns da schlecht geht."
Am 23. März 1943 wurden die Mitglieder der Familien Strauß gemeinsam mit 70 anderen Sinti aus dem Landkreis Marburg nach Auschwitz-Birkenau, in das Vernichtungslager deportiert. Ziel war die Ermordung der europäischen Sinti und Rom.

Eva Schulte, geb. Strauß, verheiratet mit einem „deutschblütigen“ Soldaten blieb verschont, floh mit ihrem Sohn nach Ostwestfalen, nachdem ihr Mann ihr zunächst als vermisst, dann als gefallen gemeldet worden war. Sie erhielt Hilfe und konnte bis Kriegsende untertauchen und kehrte nach 1945 ebenso wie die anderen Überlebenden des Völkermordes Ewald, Adam und Heinz Strauß nach Cölbe zurück.
Elisa, Julius, Salamanda und Agnes Strauß wurden ermordet.
(ergänzende Fotos von Ewald und Elisa Strauß, Eva Schulte, geb. Strauß, Heinz Strauß 1947)
Verfasser: Dr. Udo Engbring-Romang