Familie Buchheim

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    Bürgermeister Volker Carle bei seiner Ansprache

    Der weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte Künstler Gunter Demnig verlegte am 3. Juli 2018 vor dem Haus „Alte Dorfstraße 12“ in Cölbe Stolpersteine für die jüdische Familie Buchheim, die hier viele Jahre gelebt hatte und 1937 aus Cölbe fliehen musste.

    Bürgermeister Carle begrüßte zu Beginn die etwa 30 Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Cölbe und die Sponsoren der Stolpersteine, die zu diesem Ereignis, das bei strahlendem Sonnenschein stattfand, erschienen waren. Er sagte, dass Cölbe damit Teil des größten dezentralen Denkmals in Deutschland geworden sei. Die Stolpersteine erinnerten uns daran, wie schnell sich die politischen Verhältnisse verändern können. “Plötzlich war die Demokratie weggebrochen. Menschen wie Sie und ich haben einfach weggeschaut. Würden wir heute gerade stehen, wenn wieder so etwas passiert, wenn Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft eingeschränkt würden? Die Zeitzeugen verlassen uns, die mündliche Überlieferung verliert sich. Dass wir heute in Cölbe gedenken können, ist das ganz große Verdienst von Hans Junker, der sich intensiv mit der Geschichte befasst hat.“

    Die Familie von David und Paula Buchheim sei ein integrativer Bestandteil des Cölber Dorflebens gewesen, führte Hans Junker aus.

    David Buchheim betrieb eine gut gehende und auf dem modernsten Stand eingerichtete Metzgerei. Buchheims waren großzügig beim Abwiegen und unterstützten auch Bedürftige in den schweren Zeiten der Inflation 1923 und der Weltwirtschaftskrise nach 1929, die auch sehr viele Cölber arbeitslos machte. Das machte Buchheims in der Dorfbevölkerung sehr beliebt.

    Familie Buchheim in Palästina 1938 (v.l.n.r.: Hilde, David, Else und Paula Buchheim)
    Luftbild von Cölbe aus dem Jahr 1955, das in der Gedenktafel verwendet wurde. Auf dem Foto ist das Haus der Buchheims neben dem von Heusers - ihren Freunden und Nachbarn - abgebildet. Die Häuser stehen am rechten Bildrand oberhalb des Hofes von Adam Lenz giebelständig zur "Alten Dorfstraße". Das Buchheimsche Haus ist das linke ohne Fachwerk".

    Das änderte sich aber schlagartig 1933, als die Nazis an die Macht kamen und durch Boykottmaßnahmen, antijüdische Gesetze und offenen Terror einen Weiterbetrieb der Metzgerei unmöglich machten. Im Mai 1937 mussten Buchheims deshalb Deutschland verlassen. Noch am Tage vor ihrer Abreise von Cölbe musste Johannes Heuser, der Nachbar und Freund, David Buchheim vor den Nazis auf dem Cölber Friedhof verstecken, die Jagd auf ihn gemacht hatten.

    Ernst Fehler würdigte als Mitglied der SPD-Fraktion im Cölber Gemeindeparlament David Buchheim und  betonte, dass David Buchheim als SPD-Mitglied und deutscher Patriot tapfer im 1. Weltkrieg für Deutschland gekämpft habe und sich immer mutig für den Erhalt der Weimarer Republik eingesetzt hatte. David Buchheim hatte es nicht glauben können, dass ihm einmal als verdientem und ausgezeichneten Frontsoldaten des 1. Weltkrieges, der für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz verliehen bekommen hatte, etwas Nachteiliges geschehen könnte. David Buchheim sei ein Vorbild für uns alle gewesen. Deshalb sei es auch eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass die SPD-Fraktion die Patenschaft für seinen Stolperstein übernommen habe.

    v.l.n.r.: Martin Hedderich, Ursula Broicher-Götte und Lutz Götte lesen aus den Briefen von Paula Buchheim und Katharina Heuser.

    Ursula Broicher, Lutz Götte und Martin Hedderich sind die Enkel von Katharina und Johannes Heuser, die direkt neben Buchheims in der „Alten Dorfstraße 10“ ein kleines Lebensmittelgeschäft betrieben hatten. Sie, die im Dorf den Hausnamen „Lauersch“ gehabt hatten, waren die besten Freunde von Buchheims gewesen. Aus den Briefen, die vom ersten Tag an, als die Familie Buchheim Cölbe verlassen musste, hin und her geschrieben wurden, lasen die Enkel vor. Die sehr emotional gefärbten Aussagen der Briefe machten deutlich, wie sehr und wie eng Paula und David Buchheim, aber auch ihre Tochter Else, die im Dorf „`s Schwoarze“ genannt wurde, mit Cölbe verbunden geblieben waren, auch wenn sie schon viele Jahre und Jahrzehnte ihr Heimatdorf nicht mehr gesehen hatten. Und wie sehr sie die Trennung von ihren Freunden und ihrer Heimat schmerzte. Lutz Götte sagte, auch noch nach dem Krieg habe man Buchheims betrogen. Bei dem so genannten Wiedergutmachungsverfahren hätten neidische Nachbarn den ehemaligen Besitz der Familie klein geredet.

    Lisa Seifart berichtet vom Schicksal der jüdischen Schülerinnen - darunter auch Else Buchheim - an der Marburger Elisabeth-Schule

    Lisa Seifart, eine Abiturientin der Elisabeth-Schule, stellte Else Buchheim als eine von vielen jüdischen Schülerinnen vor, die dieses Mädchengymnasium in Marburg besucht hatten und 1937 wegen der rassistischen Politik des Nazi-Regimes ihre geliebte Schule verlassen mussten. Sie seien aber im Bewusstsein der Schule, die seit vielen Jahren keine reine Mädchenschule mehr ist, niemals vergessen worden. Ein großer Davidsstern vor dem Schulgebäude erinnere alle täglich daran. Viele Schüler und Lehrer der Elisabethschule hätten deshalb auch Geld für die Stolpersteine gespendet. Und sie resümierte am Schluss: „Es ist deshalb sehr wichtig, sich angesichts der politischen Entwicklung in Deutschland mit der AfD und dem Schlagwort „America first“, mit der Geschichte zu beschäftigen.“

    Hans Junker

    Hans Junker stellte Hilde Buchheim vor, die 1936 von der Cölber Volksschule an die Jüdische Schule nach Marburg wechseln musste. Auf einem Klassenfoto während eines Schulausflugs der Jüdischen Schule war Hilde, die von „Lauersch“ wegen ihrer Lebendigkeit den Spitznamen „Zwirbel“ bekommen hatte, gemeinsam mit ihren Klassenkameradinnen und –kameraden abgebildet, die sich um ihren Lehrer Samuel Pfifferling gruppiert hatten. Einige dieser Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrer Pfifferling und seine Frau Selma wurden später nach 1941 von den Nazis deportiert und ermordet.

    Dieses Foto stammt aus dem Jahr 1963 und wurde von Lutz Götte aus Cölbe in New York gemacht. Lutz Götte ist der Enkel von Johannes und Katharina Heuser, den besten Freunden Buchheims aus Cölbe. Sie besaßen ein Lebensmittelgeschäft direkt neben Buchheims. Lutz Götte war mit seiner Schwester Ursula Broicher-Götte bei der Stolpersteineverlegung mit dabei und lasen aus den Briefen, die zwischen Paula Buchheim und der Oma Heuser gewechselt wurden.
    Hilde Buchheim war mit Meinhard Hammerschlag verheiratet. Er war auch ein Überlebender und stammte aus Felsberg im Schwalm-Eder-Kreis. Sie hatten eine gemeinsame Tochter Vera. Die Mutter mit Tochter davor ist eine Verwandte. Das Foto stammt aus dem Familienbesitz und ist vermutlich um 1963/64 aufgenommen worden.

    David Buchheims Schwester Berta wurde 1942 in Sobibor, seine Brüder Max und Salomon in Theresienstadt und Minsk Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns .

    Paula und David Buchheim in New York in den 1960er Jahren

    Nach ihrer Flucht nach Palästina 1937 siedelte die Familie Buchheim 1946 nach den USA um. In der 190. Straße im Norden von Manhattan, eröffnete David Buchheim ein kleines Lebensmittelgeschäft. Dort wurden sie auch 1963 von Lutz Götte und seiner Schwester Ursula (Broicher) besucht.

    Amnon Orbach betet das Kaddisch bei der Stolpersteineverlegung

    Die Töchter von Buchheims heirateten und bekamen jeweils eine Tochter. Dalia Eisen, die Tochter von Else Buchheim, die heute Direktorin einer Grundschule in Totonto ist, richtete eine Grußbotschaft an die Cölber, in der sie dem Bürgermeister Carle, dem Gemeindeparalament und allen Sponsoren dankte, besonders aber Hans Junker und Ursula Broicher, mit denen sie seit vielen Monaten Kontakt pflegt. Ein besonderer Dank ging an den Künstler Gunter Demnig,  der „diese schöne Hommage nicht nur für meine Großeltern, sondern auch für die Tausenden und Abertausenden von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung geschaffen hat. Auf der Website von Herrn Demnig zitiert er den Talmud: "Eine Person wird nur dann vergessen, wenn ihr Name vergessen wird".

    Der Künstler Gunter Demnig bei der Verlegung der Stolpersteine

    Amnon Orbach, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Marburg betete zum Abschluss dieser Veranstaltung, die alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr bewegt hatte, das Kaddisch für alle ermordeten Juden der Shoa.

    Neben den Stolpersteinen wird die Gemeinde aber auch noch mit Gedenktafeln nicht nur der Familie Buchheim gedenken, sondern auch der Sinti-Familie Strauß, die 1943 von Cölbe in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde, wo sieben Familienmitglieder den Tod fanden. Eine weitere Gedenktafel wird an den Cölber Pfarrer Bernhard Heppe erinnern, der ein aktiver Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus war. Er war einer der drei führenden Köpfe des Pfarrernotbundes und der Bekennenden Kirche in Kurhessen-Waldeck gewesen. Ende 1943 wurde er in die Wehrmacht eingezogen. Er starb 1945 an einer Typhus-Infektion in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft.

    Verfasser: Hans Junker